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Die Arbeitsgesellschaft:



Themen:
Gesellschaftliches Leitbild
Ökonomie der Leistungsgesellschaft
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Exklusion


Gesellschaftliches Leitbild

Mehr als je zuvor sind die Menschen dazu genötigt, sich über die Arbeit zu definieren (selbst die Hausfrau ist Teil der Arbeitsgesellschaft geworden); der gesellschaftliche Diskurs, die Kultur zwingen sie dazu. Das gesellschaftlich herrschende Leitbild vom gelingenden Leben ist in der Arbeitsgesellschaft angesiedelt. Es ist der „Superperformer“ in Bürohochhäusern: „In den Fluren dieser Türme, so wird (in den kulturtragenden Medien – die Verfasserin) vermittelt, laufen Menschen umher, die bis zum Umfallen arbeiten und dabei stets korrekt gekleidet sind, fein duften und vier Sprachen sprechen, während sie auf den neuesten Laptops Zahlentabellen kontrollieren und Emails schreiben. Von ihren Boni kaufen sie sich wahrscheinlich Lamborghinis und Penthousewohnungen...“ (Baumgartner, S. 56).

Selbst der Arbeitslose, der ganz offensichtlich aus der Arbeitssphäre herausgefallen ist, hat keine Chance, ein selbstbestimmtes Leben in einer oder mehreren der anderen gesellschaftlichen Sphären zu führen. Er steht unter dem Dauerdruck, ständig Beweise dafür vorzulegen, daß er sich – am besten während seiner ganzen hypothetischen Arbeitszeit – eifrig darum bemüht und keinen Aufwand und keine sinnlose Bewerbung scheut, um in die alles entscheidende und alles definierende Kernsphäre der Gesellschaft zurückzugelangen, d.h.: wieder ein vollwertiges Mitglied der „Gemeinschaft“ zu werden. Dabei ist jede Arbeit, selbst eine gering (oder gar nicht: Praktikum) bezahlte, befristete und weit unter der Qualifikation des des Betroffenen liegende Arbeit besser als ein Zustand, in dem er nicht wie alle anderen dem Streßregime der anderen „Player“ unterliegt und womöglich über freie Zeit verfügt, die er der Befriedigung seiner Bedürfnisse widmen kann. Läßt er es an dem geforderten Engagement fehlen, wird er doppelt geächtet: von der Arbeitsagentur durch teilweisen oder vollständigen Entzug seines Arbeitsentgeltersatzes und ständige Schikane einerseits, durch seine mißgünstigen, aber auch neidischen Mitmenschen, die meinen, er nutze sie aus, andererseits. Wer glücklicher und gleichzeitig ängstlicher Besitzer oder Pächter eines Arbeitsplatzes ist, möchte nicht mit Verlierern oder gar Aussteigern konfrontiert und implizit in Frage gestellt werden. Außerdem ist der Arbeitslose von der zweitwichtigsten Lebenssphäre der im Arbeitsmarkt Inkludierten ausgeschlossen: der Konsumsphäre. Denn mangels Geldes kann er weder reisen, noch an gesellschaftlichen „Events“ teilnehmen, die Hochkultur bleibt ihm verschlossen, und „shoppen“ kann er auch nicht. Auch diese Exklusion trennt ihn von seiner bisherigen Mitwelt, stößt ihn aus seinem gewohnten sozialen Milieu, aus der „Mehrheitsgesellschaft“ aus. In diesem Sinne wird er a-sozial.

In der totalen Arbeitswelt ist die Stechuhr verschwunden, und die Angestellten werden regelrecht dazu aufgefordert, ihre Arbeitszeiten selbst zu planen und gern auch von zu Hause aus zu arbeiten. Im Ergebnis hat sich die Arbeitszeit deutlich verlängert.

Leitbild der Gegenwart scheint Hannah Arendts „animal laborans“ zu sein, das dem anonymen Lebensprozeß ausgeliefert ist und dessen „Denken verkomme zum Rechnen als Gehirnfunktion. Alle Formen der Vita activa, das Herstellen und das Handeln, sänken auf das Niveau des Arbeitens herab.“ (Han1, S. 33) Gleichzeitig hat ein technokratisches Verständnis des Menschen Einzug gehalten, das sich sprachlich in solchen Neologismen wie „Humankapital“ oder „Anschlußverwendung“ von Arbeitslosen niederschlägt und suggeriert, daß quasireligiöse Subjekte den Gang des Wirtschaftslebens bestimmen: „die Märkte bestrafen…“, „die Märkte haben verstanden…“ der Markt als „unbewegter Beweger“, dem der Mensch Opfergaben zu entrichten hat, damit er ihm freundlich gesinnt ist. Hier vermischt sich technokratisches mit mystischem Denken: von Vernunft ist dies alles sehr weit entfernt.



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