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Der Individualismus:



Themen:
Leistungssubjekt und Freiheit
Atomisierung
Narzissmus
Selbstoptimierung


Narzissmus

Das „entborgene“ Subjekt kultiviert quasi notgedrungenen einen bislang nie dagewesenen Individualismus.

Für ein Überdrehen des Rades der Individualisierung spricht ihr Übergang in immer narzisstischere Formen:
„Wo Identifikationsmuster fehlen, lebt der Selbstentwurf. Unreflektiert, egoistisch, kühl, selbstverliebt.“ (Baumgartner, S. 16) Das Ergebnis ist eine narzisstische Gesellschaft (im Grunde eine contradictio in adjecto), in der der Wunsch nach Selbstdarstellung, -wahrnehmung und -schutz alle anderen, vernünftigen Bedürfnisse übersteigt. Han, der die Transparenzgesellschaft der Gegenwart als narzisstisch und pornographisch charakterisiert, ist der Meinung, dass den vollendeten Kapitalismus der Ausstellungswert ausmacht, der sich der Produktion von Aufmerksamkeit verdankt. Der Gegensatz von Tausch- und Gebrauchswert sei damit hinfällig. (Han2, S. 19)
„Das spätmoderne animal laborans ist mit dem Ego bis knapp zum Zerreißen ausgestattet.“ (Han1, S. 35). Es ist hyperaktiv und hyperneurotisch. Narzissmus sei der Ausdruck der „distanzlosen Intimität zu sich“, nämlicher fehlender Selbstdistanz. (Han2, S. 61) Richard Sennett wies schon 1974 auf ein Phänomen hin, das erst jetzt Massencharakter gewonnen hat: Ein Narzisst sei nicht auf Erfahrungen aus, sondern auf Erlebnisse. Er wolle in allem, was ihm gegenüber tritt, sich selbst erleben. (Sennet, Intimität, S. 563)

Der Einzelnen steht unter dem Dauerdruck, sich unterscheiden zu müssen, möglichst originell zu sein, aber sich dennoch einer Gruppenidentität anzuschließen, deren Repräsentant er in Aussehen und Habitus gern sein möchte. Virtuelle und Befindlichkeitsgruppen sollen die einstigen stabilen Beziehungen in nicht frei gewählten Strukturen ersetzen. Strukturen der Herrschaft und Unterordnung scheint es nicht mehr zu geben. Die Freiheit, sich selbst zu erfinden und immer wieder auf’s Neue zu erfinden, scheint grenzenlos zu sein und wird zur Pflicht aller, die auf der Höhe der Zeit bleiben wollen.

In der Gesellschaft der haltlosen Individualisten und der Freiheit als Beliebigkeit wird – scheinbar ein Widerspruch - die Uniformierung immer stärker. „Den Menschen wurde ihr Selbst als ein je eigenes, von allen anderen verschiedenes geschenkt, damit es desto sicherer zum gleichen werde.“, wussten schon Horkheimer und Adorno. Heute sucht sich der Narziß der Leistungsgesellschaft seine Peer-Group, Fangemeinde oder Community, mit der er Logos, Labels und Markencodes teilt. „Die Uniformiertheit bis zur Selbstaufgabe schafft das beruhigende Gefühl, Teil einer Leistungsgesellschaft zu sein, der es besser geht, die zu den Siegerschichten gehört.“ (Baumgartner, S. 23) Als Konsument orientiert und informiert er sich schnell und permanent und überträgt das, was Höchstleistungen und Erfolg ausmacht, auch auf die Freizeit: Immer und überall geht es um Effizienz - auf Arbeit, im Privatleben und auf Reisen.

„In der narzisstischen Gesellschaft liegen der Wunsch nach Zugehörigkeit zum breiten Strom der gesellschaftlichen Entwicklung und die Sehnsucht nach einem unabhängigen Lebensentwurf, einer strikten Abgrenzung eng zusammen….Das Jonglieren, Sich-Ausprobieren, das Akzeptieren und Ablehnen in einem Zustand zwischen den Polen der realen (und verbrauchten) Welt und einer virtuellen (und scheinbar vollkommenen) Welt sind anstrengende Alltagsroutine.“ (Baumgartner, S. 26)



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